Obwohl das mein absolutes Lieblingszitat ist, gab es auch bei mir immer wieder Zeiten, wo ich ans aufgeben gedacht habe. Hier eine kleine Anekdote meiner Norwegen Radreise 2019, die mir einmal mehr vor Augen geführt hat, warum sich das Weitermachen lohnt:
Die erste Zeit in Norwegen stellte meine Willenskraft auf eine harte Probe. 4 Tage in Folge einen Anstieg von jeweils 230 Höhenmetern in Angriff zu nehmen, war eine körperliche Kraftanstrengung, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Zu allem Überfluss glichen die Radwege oft rauen Schotterpisten, auf denen ich mein episches Gespann kaum den Berg rauf bekam. Immer wieder verkanteten sich die groben Steine vor den Reifen und ich schnaufte aus dem letzten Loch. Es war die reinste Hölle auf Erden. Seit gestern schmerzte die Sehne in meinen linken Fuß und so war unklar, ob ich mit meinen abgelaufenen Schuhsohlen überhaupt die nächste Steigung von Feda nach Flekkefjord meistern würde. Mein einziger Trost war Rocky, der unermüdlich und voller Tatendrang das Fahrrad zog.
Unterwegs begegnete uns ein junges Hippie-Radler-Pärchen aus Deutschland.
„Wir radeln von Bergen nach Kristiansand“, erklärte mir der bärtige Jungspund mit den Rastalocken und den Leinenkleidern.
„Sehr cool, von da bin ich gekommen“, erwiderte ich. „Auf dem Weg nach Mandal, werdet ihr Bekanntschaft mit dem alten norwegischen Postweg machen, das ist ein übler Schotterbelag, auf dem hatte ich schwer zu kämpfen“, warnte ich sie.
„Ah, die ‚Schotter-Hölle‘ kennen wir schon“, erwiderte der junge Herr gelassen. „Den alten norwegischen Postweg gibt es auch Richtung Fleckefjord. „Schau besser, dass du den irgendwie umfährst.“
Na toll, dachte ich. Die einzige Alternative war mein schwer beladendes Fahrrad, die stark befahrene E39 Hauptstraße mit hupenden LKWs im Rücken hochzustemmen. Das war genauso frustrierend wie der Schotterweg.
Kaum hatten sich unsere Wege getrennt, überkam mich eine heftige Sinnkrise.
„Warum tue ich mir diese Plackerei überhaupt an?“, stöhnte ich. Seit gestern bedeutete meine Norwegen-Reise eine endlose asketische Kraftanstrengung und beim bloßen Gedanken daran, dass es bis zum Nordkap so zäh weiter gehen würde, wurde mir ganz anders. Die Worte von Loris schwirrten mir im Kopf herum:
„Mit einer 200 Kilogramm schweren Stahlkugel zu reisen, nennst du Freiheit?“
Vielleicht hatte er recht. Ich konnte das nicht mehr länger. Was ich mir hier antat, hatte nichts mit Freiheit zu tun; das war selbst gewählte Folter!
Dank Rockys Hilfe, erreichte ich mit Ach und Krach Flekkefjord. Auch dort war uns keine Verschnaufpause vergönnt. Das Tal um den Fjord war so dicht besiedelt, dass weit und breit kein stilles Plätzchen zum Zelten zu finden war. „Oh nein, das schaffen wir heute niemals“, stöhnte ich, als ich direkt hinter dem Dorf Sveiga einen weiteren zermürbenden Anstieg mit 230 Höhenmetern ausmachte. Rocky und ich waren so müde, dass wir nur noch schlafen wollten.
„Vielleicht können wir in dem Baumhaus dort drüben übernachten“, sagte ich hoffnungsvoll zu meinem Vierbeiner, als ich in der letzten Seitenstraße vor dem Ortsende einen hölzernen Bretterverschlag auf einem Baum bemerkte. Flink klingelte ich beim gegenüberliegenden Haus, um nach Erlaubnis zu fragen.
Darauf öffnete ein älterer Norweger die Tür und erklärte: „Das da drüben ist ein Ferienhaus und die Besitzer sind nicht da.“
„Okay, kennen Sie vielleicht einen anderen Ort in der Nähe, wo ich zelten kann?“, fragte ich flehend. „Mein Husky und ich sind todmüde und wir schaffen heute keinen weiteren Anstieg.“
„Warte einen Moment, ich muss mich kurz mit meiner Frau besprechen.“ Bald darauf kam er wieder und sagte: „Komm mit, ich habe einen Platz, wo du schlafen kannst!“ Der alte Herr hinkte zur Garage, holte sein klappriges Fahrrad raus, kletterte in den Sattel und fuhr in Schlangenlinien voraus.
Nach rund einem Kilometer hielt er vor einem kleinen Fischerhäuschen in Falunrot, mit hölzerner Veranda mitten am türkisblauen Fjord. Als ich mit ihm die spektakuläre Übernachtungsmöglichkeit erkundete, verschlug es mir die Sprache. Die Aussicht war atemberaubend! Einen solch paradiesischen Platz konnte man in der Gegend wahrscheinlich nicht einmal für Geld bekommen.
„Wenn du willst, kannst du unten angeln“, sagte der Norweger und deutete auf den hölzernen Steg unter der Veranda. Du kannst dich gerne auch hier draußen hinsetzen zum Abendessen“, erklärte er und baute mit unsicherem Schritt den Gartentisch auf.
Das Fischerhäuschen war urig eingerichtet mit Fischernetzen, alten gläsernen Bojen, die von der Decke baumelten und einer ganzen Reihe von Fischereiurkunden.
„Tu mir nur einen Gefallen; mach bloß kein Feuer“, verabschiedete sich der Norweger, nachdem er mir alles gezeigt hatte.
„Das geht in Ordnung“, versprach ich strahlend wie ein Honigkuchenpferd.
Glückselig setzte ich mich in einen Stuhl neben meinen geliebten Hund auf die Terrasse und blickte auf das türkisblaue Wasser des Flekkefjords. In Momenten wie diesen herrschte in meinem Geist himmlische Stille. Während ich nachmittags noch den Sinn der ganzen Reise in Frage gestellt hatte, waren die Selbstzweifel augenblicklich wie vom Winde verweht.
Die herzergreifenden Begegnungen mit den Menschen sind der Grund, warum ich all das tue,
sprach mein Herz zu mir, aus tiefster innerer Überzeugung. Das war der Grund, warum ich alle Hürden auf mich nahm; weil Erlebnisse wie diese jede Durststrecke und jeden Höhenmeter wettmachten. Gerade dadurch, dass die letzten Tage so hart gewesen waren, wusste ich die Herzlichkeit der Menschen mehr denn je zu schätzen. Später ging ich mit Rocky nach drinnen in das gemütliche Fischerhäuschen und machte es mir auf dem Sofa bequem. Rocky ließ sich genüsslich brummend auf dem Teppich nieder. Friedlich lullte das Meeresrauschen uns in den Schlaf.
Am darauffolgenden Vormittag zeigte mir der Norweger stolz den Liegeplatz von seinem Boot, nebendran in einem Schuppen.
„Das hier habe ich alles selber gebaut! Das ist mein Hobby!“, erklärte er stolz.
„Wow, wirklich beeindruckend“, lobte ich ihn. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus und bewunderte zutiefst, wie dieser Mann sich voller Tatendrang seinen Traum verwirklicht hatte.
„Die See ist meine große Leidenschaft; früher habe ich weltweit als Matrose auf Schiffen angeheuert“, verriet er nach dem Rundgang. Dann zückte er den Fotoapparat, um ein Abschiedsfoto von Rocky und mir zu schießen.
„Das hänge ich mir an die Wand. Du bist erst der Zweite der hier übernachten durfte“, erklärte er freudestrahlend.
„Tausend Dank, das war wirklich etwas ganz Besonderes. Diese Übernachtung werde ich garantiert nie vergessen!“, erwiderte ich und umarmte den Mann.
„Du musst es entspannt angehen, wenn du das Nordkap erreichen willst“, gab mir der gestandene Herr als abschließenden Ratschlag mit auf den Weg. Da seine Worte von Herzen kamen, wusste ich, was er meinte. Um mit der immensen Beladung die norwegischen Landerhebungen zu bewältigen, half es nicht, mich unter Druck zu setzen. Vielmehr galt es Tag für Tag mein Bestes zu geben und darauf zu vertrauen, dass uns zu geeigneter Zeit das Universum zur Hilfe kommen würde, um das Unmögliche möglich zu machen.
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Alles liebe, dein Florian.